Ehrfurcht ist das Gefühl, sich in der Gegenwart von etwas Größem als man selbst, etwas Unermesslichem zu befinden.
Dies können Dinge und Ereignisse in der Natur, der Kunst und Kultur sein, aber auch besondere Menschen. Auf jeden Fall übersteigen sie in diesem Moment unser individuelles Verstehen der Welt.
Dacher Keltner, Professor für Psychologie an der University of California, hat in wissenschaftlichen Studien die Effekte und die Bedeutung von Ehrfurcht für den Menschen und die menschliche Gemeinschaft untersucht.
Keltner zeigt mehrere positive Auswirkungen der Ehrfurcht auf:
- In der Gegenwart von großen Dingen zu sein, ruft ein bescheideneres, weniger narzisstisches Selbst hervor, das eine größere Freundlichkeit gegenüber anderen ermöglicht. Ehrfurcht bettet das individuelle Ich in eine soziale Identität ein. Konkret hat er festgestellt, dass Ehrfurcht Menschen dazu bringt, zusammenzuarbeiten, Ressourcen zu teilen und anderen freizügig zu geben.
- Augenblicke der Ehrfurcht stimulieren das körperliche Wohlbefinden, unter anderem indem dieses Gefühl sich positiv auf den Zytokinspiegel (ein körpereigenes Protein) auswirkt, der Einfluss auf Entzündungen im Körper und unter anderem auch auf das Entstehen von Depressionen hat, wie deutsche Studien gezeigt haben. Die Dinge, die wir tun, um Ehrfurcht zu erleben - ein Spaziergang in der Natur, sich in Musik zu verlieren, Kunst zu betrachten - haben also einen direkten Einfluss auf Gesundheit und Lebenserwartung, sagt Keltner.
- Und das Erleben von Ehrfurcht weckt auch die Neugier und den Forscherdrang im Menschen, der dann die Bereitschaft hat, sich länger mit schwierigen oder herausfordernden Aufgaben zu beschäftigen.
Und deshalb schlägt Keltner vor, dass wir uns Zeit nehmen, innezuhalten und die Gedanken für Dinge zu öffnen, die man nicht vollständig versteht. Denn Ehrfurcht ist nicht nur für das Wohlbefinden des einzelnen Menschen gut, sondern auch für die soziale Gemeinschaft, da Gefühle der Ehrfurcht das soziale Miteinander durch prosoziales und freundliches Handeln stärkt.
In Ihrem Buch "Kindern mehr zutrauen", weißt Michaeleen Doucleff daher auch darauf hin, wie wichtig es ist, die Entwicklung von Ehrfurcht bei Kindern zu fördern. Kinder, denen dieses Gefühl zur Verfügung steht, können sich leichter in emotional schwierigen Situationen regulieren.
Staunen Sie also mit Ihren Kindern hin und wieder über die Unermesslichkeiten, denen Sie überall begegnen. Werden Sie gemeinsam sprachlos.
Links und Literatur:
Dacher Keltner, Why Do We Feel Awe? (https://greatergood.berkeley.edu/article/item/why_do_we_feel_awe)
Yasmin Anwar, Can Awe Boost Health?
ZeitOnline, Wenn die Welt auf einmal still wird
Michaeleen Doucleff, Kindern mehr zutrauen. Erziehungsgeheimnisse indigener Kulturen
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