Wut ist eine wichtige Emotion, die immer dann auftaucht, wenn irgendetwas z.B. für ein Kind richtig gefährlich oder bedrohlich erscheint. Dabei ist es egal, ob dann Erwachsene denken: „Aber da ist doch gar nichts.“
Wut mobilisiert alle zur Verfügung stehende Kraft und Energie, um die persönliche Unversehrtheit zu schützen oder zu verteidigen. Dabei neigt die Wut dazu, unverhältnismäßig zu sein; Wut wägt nicht ab; losgelassene Wut ist blind.
Die Einschätzung, ob etwas gefährlich ist oder nicht, ist keine vernünftige Entscheidung, sondern eine blitzschnelle emotionale Reaktion unseres autonomen Nervensystems. Dabei werden alle bisher gemachten und als bedrohlich empfundenen Lebenserfahrungen unbewusst mitberücksichtigen: Wann und wie oft bin ich schon in beängstigender Weise zu kurz gekommen? Wo musste ich kämpfen oder mich widersetzen? Wie gut konnte ich mich mit meiner Wut verteidigen? Wie erfolgreich fühlt sich diese Energie der Wut an?
Je öfter das Kind sich mit seiner Wut erfolgreich fühlt, desto häufiger wird Wut als autonome Strategie zum Einsatz kommen. Denn was zum Erfolg führt, wird zukünftig verstärkt genutzt.
In solchen schnellen autonomen Entscheidungsprozessen kann es auch leicht zu Fehleinschätzungen von Situationen kommen. Eigentlich harmlose Ereignisse im Hier & Jetzt erinnern an gefährliche Situationen aus dem Dort & Damals und werden vorsichtshalber mit Wut, der erfolgreichen Verteidigungsstrategie, beantwortet.
Weil Wut eine so mächtige Energie ist, müssen Kinder lernen, mit ihrer Wut vernünftig umzugehen, damit kein unnötiger Schaden entsteht. Und dafür brauchen sie Erwachsene, die sie effektiv in ihrer Selbstregulation unterstützen.
Umgehen mit Wut
Für einen wirklich hilfreichen Umgang mit Wut ist es absolut wichtig zu verstehen, dass kein Kind sich bewusst dafür entscheidet, wütend zu werden. Ein Kind wird wütend, wenn sein autonomes Nervensystem zu der Einschätzung gelangt:
„Achtung! Es besteht eine gefährlich Bedrohungssituation, der entschieden und unmissverständlich entgegengetreten werden muss.“
In diesem Verstehen liegt dann auch ein erster Schritt zu einer Lösung.
Das Nervensystem muss beruhigt werden; es muss zu einer neuen Einschätzung kommen: Die Situation ist gar nicht gefährlich, sondern nur frustrierend. Oder: Jetzt ist die Situation sicher.
Wie kann das gehen?
Bei einem Wutanfall rast der Herzschlag, überschlägt sich die Atmung und sind die Muskeln an vielen Stellen des Körpers übermäßig angespannt. Diesem stark aktivierten Körper darf nicht noch mehr Energie durch Ungeduld, Schuldzuweisungen, grobes Anfassen und Herumschieben oder viel Reden und Anschreien zugeführt werden. Die starke Energie muss vielmehr langsam, sehr langsam aus dem Körper herausgeleitet werden. Dabei können Erwachsene sich vorstellen, wie ein Schwamm die viele Energie aufzusaugen und an anderer Stelle zu entsorgen. Das Entsorgen der aufgesogen Energie ist dabei sehr wichtig, damit Sie als Schwamm weiterhin gut funktioniert.
Mit folgenden acht Schritten können Sie sich und das Kind durch einen Wutanfall leiten:
1. Nehmen Sie die Wut des Kindes als momentan gegeben an. Sagen Sie sich: Im Moment ist das so! Und versuchen Sie, so ruhig wie möglich zu bleiben: Ich sehe deine Wut.
2. Lassen Sie dem Kind Zeit, seine Wut konkret im Körper spüren: Wo in deinem Körper spürst du die Wut? In den Fäusten? Im Kiefer? In den Beinen? Im Bauch? Wie fühlt sich das an?
3. Geben Sie der Energie der Wut Raum. Zeigen Sie dem Kind gesunde Wege, die Energie zu spüren - aber reguliert und langsam! Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten:
- Lassen Sie sich durch (kontrolliertes) Drücken und Pressen mit Händen, Füßen oder auch dem ganzen Körper zeigen, wie stark die Wut ist.
- Spielen Sie gemeinsam große starke Tiere: Stampfen Sie wie ein Elefant, brüllen Sie wie ein Löwe, fauchen Sie wie ein Jaguar, trommeln Sie sich auf die Brust wie ein Gorilla. Nehmen Sie das ganze nicht zu ernst, sondern suchen Sie den Spaß und das Lachen dabei.
- Wechseln Sie ab zwischen Anspannung und Entspannung: Spannen Sie die Muskeln an, bis es fast nicht mehr geht, und lassen dann los. Atmen Sie kräftig ein und dann langsam und viel länger aus.
- Probieren Sie Kinder-Yogaübungen aus , die das Kanalisieren der Energie unterstützen.
4. Unterbrechen Sie auf jeden Fall ein Ausagieren der Wut. Sagen Sie, was unvernünftige Handlungen sind, und zeigen Sie Ihre Grenzen. Leiten Sie ruhig und liebevoll auf den gesunden Weg, die Energie zu spüren, zurück.
5. Bleiben Sie präsent. Verbinden Sie sich mit dem Kind. Zeigen Sie, dass Sie für das Kind da sind. Es sollte spüren, dass Sie nicht sein Feind sind. Fördern Sie ein gemeinsames Gefühl der Zufriedenheit und des Glücklichseins.
Je mehr Ruhe wieder entsteht, um so mehr können Sie die gemeinsam altersangemessene vernünftige Überlegungen anstellen und die Situation besprechen. Manchmal ist ein Besprechen aber auch gar nicht notwendig. Prinzipiell ist das aber sinnvoll.
6. Sie können dem Kind erklären, dass Wut eine Verteidigungsstrategie ist, die das Kontrollzentrum (die Vernunft) ausschaltet, und das es wichtig ist, dieses Kontrollzentrum durch langsames Spüren und Atmen wieder einzuschalten.
7. Abschließend können Sie dann gegebenenfalls noch die auslösende Situation gemeinsam betrachten und möglicher Weise auftauchende Gefühle von Scham auflösen.
8. Freuen Sie sich, dass Sie es geschafft haben, ein Kind mit seiner Wut zu koregulieren!
Wenn Erwachsene selbst gestresst sind, Schwierigkeiten mit eigener Wut haben und wenig Zeit im Alltag für Kinder gegeben ist, dann bleibt in der Regel auch wenig Zeit und Energie für diese Form des Umgangs mit Wut. Nichtsdestotrotz ist es notwendig, dem Kind mit seiner Wut zu helfen, anstatt es allein zu lassen, auszugrenzen oder zu verurteilen. Nur dann wird sich etwas ändern.
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