Es kommt immer wieder vor, dass wir die Art, wie Menschen sich uns gegenüber verhalten oder mit uns reden, unangemessen, unangenehm oder auch angreifend und verletzend finden.
Wir werden in solchen Momenten dann schnell ärgerlich und wütend. Wir möchten uns verteidigen, dem anderen unsere Meinung sagen oder mit Worten oder sogar Fäusten zurückschlagen.
Es kann jedoch sein, dass wir dies dann nicht tun, weil wir
- es nicht für richtig halten („Das macht man nicht“),
- uns nicht trauen („Sie ist doch meine Chefin“) oder
- es nicht dürfen („Es gehört zu meinem Job, ruhig und freundlich zu bleiben“).
Menschen gehen dann über ihre eigenen Gefühle hinweg und bemühen sich, freundlich und zugewandt zu bleiben, auch wenn sie eigentlich Aggression in sich spüren. Sie tun so, als ob sie sich nicht ärgeren, als ob sie nicht wütend sind und unterdrücken ihre Gefühle und die dazugehörenden Impulse.
Dieses Übergehen und Maskieren der tatsächlichen Gefühle ist für diese Menschen jedoch sehr anstrengend und kostest sie viel Kraft. Forscher sehen darin auch einen wichtigen Faktor für Burnout in der Arbeitswelt.
Damit soll auf keinen Fall gesagt werden, dass wir unseren Aggressionen und Impulsen freien Laufen lassen sollten. Denn das Ausagieren von Emotionen löst oftmals das zugrundeliegende Problem gar nicht. Ausagieren kann vielmehr dazu führen, dass Situationen eskalieren und soziale Verbundenheit verloren geht. Außerdem hat Forschung gezeigt, dass das häufige Ausagieren von Wut nur noch häufiger zu wütendem Verhalten führt.
Eine bessere Idee ist es, uns unserer tatsächlichen Emotion bewusst werden und sie dann in uns zu regulieren.
Es gibt also zwei verschiedene Möglichkeiten, wie wir mit unseren Emotionen in herausfordernden Situationen umgehen können:
- Wir können einerseits oberflächlich so tun, als ob wir ruhig sind, können uns verstellen, uns „korrekt“ verhalten und dabei unsere tatsächlichen Gefühle des Ärgers, des Kummers oder der Wut unterdrücken. Diese Gefühle wirken aber in uns weiter und reiben uns auf Dauer innerlich auf.
- Wir können uns andererseits bewusst bemühen, unsere tatsächlichen und bisweilen schwierigen Gefühle zu erforschen, um sie schrittweise in uns aufzulösen oder sie zumindest in ein neutrales Gefühl zu transformieren. Auf diese Weise bleiben wir uns selbst gegenüber ehrlich und können anderen Menschen authentisch begegnen.
Wenn wir uns für den zweiten Weg entscheiden, entscheiden wir uns definitiv für den mental gesünderen Weg - und gleichzeitig auch für den schwierigeren! Dieser Weg ist deshalb schwierig, weil wir nicht gewohnt sind, ihn zu gehen, weil wir keine oder wenig Erfahrung damit haben. Es geht nämlich darum, mitfühlend zunächst auf den eigenen Schmerz zu reagieren, ihn zu identifizieren und zu verhindern, das er die Kontrolle über uns gewinnt und unnötig wächst. Wenn wir dann selbst in der Balance sind, können wir uns vielleicht sogar dem Schmerz des Mitmenschen zuwenden, ihn fühlen und so handeln, dass es auch ihm hilft. Auf diese Weise ist dieser Weg nicht nur für mir gut, sondern auf für den anderen.
Wie kann das funktionieren?
Der erste Schritt auf diesem Weg besteht darin, das eigene Gefühl und den daraus resultierenden Impuls zu bemerken und ernst zu nehmen: „Ich bin tatsächlich, durch das, wie sich der Andere verhält, verärgert. Ich merke meine Wut im Körper.“
Je früher ich ein solches Gefühl in mir bemerke, um so größer ist meine Chance, mich in meiner Reaktion zu bremsen, mich durch bewusst ruhiges Atmen ein wenig zu regulieren und ein wenig nachzudenken: „Was ist hier gerade passiert? Wie sehr bin ich in Gefahr? Was will ich nun tun?“
Dies hilft mir, mich auf die Situation, mit überlegtem Handeln zu beziehen - anstatt nur einfach darauf zu reagieren. Es hilft mir dabei, meine Emotion zu zähmen, sie an die Hand zu nehmen und selbst zu entscheiden, wo es langgeht, anstatt mich von ihr über den Tisch ziehen zu lassen.
Im zweiten Schritt kann ich mich dafür entscheiden, die für den Moment gezähmte Emotion zu einem späteren Zeitpunkt zu erforschen, um größere Klarheit für mich zu erlangen. Das Verschieben auf einen späteren Zeitpunkt ist oft notwendig, da das Erforschen eigener Emotionen gar nicht so einfach ist und Zeit braucht, die ich im Moment vielleicht gar nicht habe. Das sollte aber nicht dazu führen, dass ich am Ende das Erforschen vergesse.
Im dritten Schritt kann ich mich dann dem Anderen mit seinem Anliegen ruhiger als zuvor zuwenden: „Okay, worum geht es dir?“ Wenn der Andere sich dadurch gesehen fühlt, wirkt das mit großer Wahrscheinlichkeit beruhigend auf ihn. Und das ist gut. Denn in der Ruhe - meiner eigenen und der des anderen - entsteht Klarheit und Klarheit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Lösung. Dabei ist eine Lösung nur dann wirklich eine Lösung der Schwierigkeit, wenn beide, also ich und der andere, darin auch wirklich eine Lösung sehen.
Zu einem späteren Zeitpunkt kann ich mich dann meinen eigenen Gefühlen forschend und eventuell mit Unterstützung eines liebevollen Mitmenschen zuwenden. Dabei erkenne ich vielleicht, dass meine Aggression und meine Wut aus einem alten Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung immer wieder neu entstehen, ein Gefühl, das eigentlich gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun hat.
Vielleicht entdecke ich unter meiner Wut eine Traurigkeit, die daraus resultiert, dass ich mein Potential bisher im Leben nicht entfalten konnte.
Und mit großer Wahrscheinlichkeit erlebe ich in diesem Prozess der Auseinandersetzung, wie mein eigenes Ernstnehmen meiner Emotionen und mein eigenes Mitgefühl für mich sich auf meine schwierigen Gefühle beruhigend auswirken.
Dies ist zu Beginn des Weges gar nicht einfach. Und wie bei allem macht auch hier die Übung den Meister. Fangen Sie an, diesen Weg zu praktizieren, wenn kleine Gefühlswirbel mit Menschen, die Sie mögen, auftreten. Vielleicht holen Sie sich auch Unterstützung in Achtsamkeits-, Yoga- oder Meditationsgruppen. Es lohnt sich für Ihre eigene mentale Gesundheit, egal ob die Schwierigkeiten in der Familie oder der Arbeitswelt bestehen.
Links:
How faking your feelings at work can be damaging
3 Tips for Surviving a Toxic Workplace